Range of Motion - Im Interview mit Luisa von Lu-Coaching
Eingeschränkte Beweglichkeit - was macht das mit uns?
Leider wird sehr häufig unterschätzt, was die Auswirkungen sind, wenn der Bewegungsradius (Range of Motion) bei Trainings nicht beachtet wird. Dieser hat nämlich große Vorteile für unsere Fitness und damit auch für unsere Beweglichkeit in jeder Alltagssituation. Im Interview mit Luisa von Lu-Coaching klären wir die wichtigsten Fragen für euch.
Wer ist Luisa?
Luisa Huss hat ihr Hobby zum Beruf gemacht. Neben der Begeisterung für Fußball und Golf investiert Luisa viel Zeit und Leidenschaft in den Kraftsport. Durch ihre professionelle Herangehensweise und langjährige Erfahrung hat sie es geschafft, hunderttausende von Menschen an eine sportliche und gesunde Lebensweise heranzuführen. Neben einer eigenen Trainings-App hat sie mehrere Guides im Bereich Ernährung und Functional Training herausgebracht. Ihr Spezialgebiet aber ist die Mobility. |
TMX: Was sind deine persönlichen Erfahrungen mit einer eingeschränkten Range of Motion (ROM)?
Lu: Auch ich hatte bzw. habe Erfahrung mit einer eingeschränkten Range of Motion. Keiner ist diesbezüglich perfekt und gerade einseitig hat man oft eine Dysbalance. Bei mir persönlich ist es die Hüfte und die Brustwirbelsäule, die etwas eingeschränkt sind und an denen ich gezielt arbeite.
TMX: Kann man selbst feststellen, ob eine eingeschränkte Range of Motion vorliegt?
Lu: Ja, sicher! Eine eingeschränkte Range of Motion erkennen wir daran, dass der Muskel bzw. das Gelenk nicht im vollen Umfang bewegt werden kann. Sprich, der Muskel kann nicht über seine gesamte Kontraktionsstrecke belastet werden – von maximal gedehnt bis maximal verkürzt. Gleiches gilt für Gelenke, wenn man nicht über die volle aktive Gelenkbeweglichkeit arbeiten kann.
TMX: Wie entsteht eine eingeschränkte Range of Motion im Körper?
Lu: Es gibt viele Faktoren, die eine eingeschränkte Beweglichkeit provozieren. Fehl- oder Überbelastungen der Gewebsstrukturen, aber auch längere Immobilität bzw. Bewegungsmangel können u.a. dazu führen, dass die Faszien dehydrieren und ihre Elastizität verlieren – man spricht dabei auch von „verklebten“ einzelnen Fasern.
Die Folge? Man wird nicht nur unbeweglicher bzw. weniger flexibel, sondern auch deutlich verletzungsanfälliger. Auch Verspannungen sowie Schmerzen kann das nach sich ziehen.
TMX: Inwieweit kann eine eingeschränkte Beweglichkeit unser Training, aber auch unseren Alltag beeinträchtigen?
Lu: Ist unsere Beweglichkeit eingeschränkt, ist fast jedes Training negativ beeinflusst. Das liegt daran, dass wir Übungen nicht optimal ausführen können, wenn uns der vollständige Bewegungsradius dafür fehlt. Auch können diverse Alltagsbewegungen eingeschränkt sein (z.B. Bücken, Heben, Halten, Greifen etc.) und auf lange Sicht Verspannungen und Schmerzen provozieren.
TMX: Wie können wir vorbeugen?
Empfehlenswert ist es, beim Krafttraining auf eine korrekte Bewegungsausführung zu achten. Sprich, immer den vollen Bewegungsradius ausschöpfen. Solltet Ihr unsicher sein, wie die Übung korrekt ausgeführt wird, auf jeden Fall fragen, zeigen lassen oder Anleitungen anschauen.
Zudem sollte man im Alltag überall, wo es möglich ist, auf ausreichend aktive Bewegung achten (z.B. Treppe statt Fahrstuhl) und sich regelmäßig mobilisieren und dehnen – auch während eines Arbeitstags am Schreibtisch.
TMX: Was können wir tun, wenn bereits eine eingeschränkte ROM vorliegt?Lu: Liegt eine Bewegungseinschränkung vor, kann man diese mit gezieltem Mobility Training sowie mit triggern der betroffenen Muskulatur sehr gut beheben.
TMX: Was ist der Vorteil von Übungen mit vollständiger ROM?
Lu: Im Journal of Strength and Conditioning Research wurde 2012 eine Studie veröffentlicht, die die Effekte einer unterschiedlichen Range of Motion auf Muskel- und Kraftaufbau untersucht. Dabei wurden junge Männer in drei Gruppen eingeteilt:
Gruppe A: Volle Range of Motion
Gruppe B: Partielle Range of Motion
Gruppe C: Kontrollgruppe
Es konnte festgestellt werden, dass die Gruppe mit voller ROM nach zehn Wochen signifikant mehr Kraft aufbauen konnte. Auch bezüglich Muskeldicke konnten leichte Vorteile verzeichnet werden.
Ein Hauptgrund dafür ist, dass nur Wiederholungen über den gesamten Radius die Muskeln auch über ihre komplette Länge hinweg aktivieren können. Zudem ist die Dehnung eines Muskels unter einer Last ein starker Stimulus für das Muskelwachstum. Auch der Muskel-Dehnreflex spielt hier eine Rolle. Wenn ein Muskel gedehnt wird, kommt es zu einer reflektorisch bedingten Kontraktion des Muskels, was sich wiederum positiv auf die Kraftentfaltung auswirken kann.
Bedeutet also, dass die Kombination von Aktivierung und Dehnung somit optimal ist, um einen größeren und stärkeren Muskel zu erzeugen, was aber erst durch eine uneingeschränkte Range of Motion effizient ermöglicht wird.
ANDERE POSITIVE EFFEKTE
Ein Krafttraining mit voller ROM hat noch weitere positive Effekte:
- EINFLUSS AUF DIE PASSIVEN STRUKTUREN
Durch Krafttraining mit ausreichend hohen Widerständen, kommt es neben einer Muskelquerschnitts- und Kraftzunahme auch zu Anpassungen innerhalb der passiven Strukturen (Bandscheiben, Knochen, Knorpel, Faszien, Sehnen, Bänder und Gelenkkapseln). So reagieren diese mit entsprechend besserer Festigkeit an den Stellen der direkten Belastung. Auch Bänder und Faszien brauchen beispielsweise eine vollständige ROM, um am Bewegungsende einer Übung die für die Verstärkung relevanten Zugreize zu erfahren.
- VERLETZUNGSRISIKO SINKT
Wie bereits erwähnt, schafft das Training mit voller ROM die besten Voraussetzungen für die Kräftigung der passiven Strukturen. So kann es zu positiven Verdickungen der Kollagenfasern, vermehrtem Knorpelaufbau und einer besseren Knochenmineralisierung kommen. Dies ist nicht nur im Sport, sondern auch in der Alltagsbewegung und zur Arthrose-Prophylaxe hilfreich. Gleiches gilt für ein verringertes Verletzungsrisiko bei Stürzen, unerwarteten Bewegungen oder Überdehnungen.
- BEWEGLICHKEIT WIRD VERBESSERT
Auch die Festigkeit und Beweglichkeit der Gelenkkapseln hängt stark von der ROM ab. Werden Übungen ausschließlich mit partieller ROM durchgeführt, kann es zu systematischen Kapselschrumpfungen kommen, die von teils erheblichen Beweglichkeitseinbußen begleitet sein können. Das A und O bleibt also ein Training über den vollen Bewegungsumfang. Damit kann gezielt Muskelverkürzungen vorgebeugt werden und es hilft, die Beweglichkeit beizubehalten oder gar zu verbessern.
TMX: Gibt es auch Szenarien, bei denen es empfehlenswert ist, die Bewegungsamplitude einzuschränken oder lohnt es sich immer diese so groß wie möglich zu halten?
Lu: Bei gewissen Übungen kann es auch Sinn machen, nicht den ganzen Bewegungsradius auszunutzen und so den Muskel auf konstanter Spannung zu halten – dies kann auch eine sehr effektive Trainingsmethode darstellen. Beispiel wäre hier die Beinpresse, um das dynamische Gleichgewicht positiv zu beeinflussen oder die Koordinationsfähigkeit zu erhöhen.
Es ist also immer eine Frage des persönlichen Ziels. Ansonsten würde ich immer empfehlen, mit voller ROM zu arbeiten.
Vielen Dank, Lu!
Der Trigger Guide mit Lu-Coaching ist übrigens jetzt als E-Book erhältlich