FÜR STARKE SCHULTERN: Korrektes Krafttraining, Dehnen und Triggern | TMX Gastbeitrag
Das Schultergelenk (Articulatio humeri) ist ein Gelenk mit drei Freiheitsgraden zwischen Oberarmknochen (Humerus) und Schulterblatt (Scapula), das die höchste Beweglichkeit unter den Kugelgelenken vorweist. Die Beweglichkeit des Gelenks ist der geringen Artikulationsfläche der darin verorteten knöchernen Strukturen zu verdanken. Diese Beweglichkeit führt jedoch zu dem Nachteil, dass die Schulter anfällig für Verletzungen wie z. B. Luxationen (umgangssprachlich: Auskugeln/Verrenken) ist. Eine Schutzfunktion kommt daher der Rotatorenmanschette zu, die wie eine Art Schutzmantel aus myofaszialem Gewebe wirkt.
Was passiert, wenn die Schulter zu wenig genutzt wird
Obwohl dieses komplexe Gelenk eine Vielzahl von Bewegungsmöglichkeiten zulässt, die für unsere Vorfahren überlebenswichtig waren (z.B. klettern,
schwimmen, kämpfen) wird es im heutigen Alltag, der überwiegend von sitzender Tätigkeit geprägt ist, in seiner Bewegungsvielfalt kaum genutzt. (1) Dieser Mangel an Bewegung ist im sportiven Umfeld zwar nicht so weit verbreitet, jedoch kann aufgrund der steigenden Schulterproblematiken im Sport (2) davon ausgegangen werden, dass die Schulter entweder zu einseitig genutzt wird oder die falschen Trainingsmethoden angewandt werden. Dabei werden Übungen durchgeführt, die die Schulter zum einen nicht zielführend stärken und sie zum anderen nicht bei der Genesung unterstützen. (3) Im Folgenden werden daher gängige Fehler im Fitnesstraining beleuchtet und daraus sportpraktische Lösungsansätze abgeleitet. Dabei sollte immer bedacht werden, dass der menschliche Körper ein multifaktorielles System ist, das stets ganzheitlich zu betrachten ist. Das bedeutet, dass zwei Personen zwar die gleiche Schmerzsymptomatik aufweisen können, die Ursache aber durchaus unterschiedlich sein kann. Dementsprechend müssen Lösungsansätze grundsätzlich individuell betrachtet werden.
Wenn die Rotatorenmanschette vernachlässigt wird
Ein gern trainierter Schultermuskel beim Fitness- und Kraftsport ist der Deltamuskel (Musculus deltoideus), da er bei ordentlichem Volumen als ästhetisch ansprechend empfunden wird. Nicht umsonst fällt er – salopp ausgedrückt – in die Kategorie der „Schwimmbadmuskeln“. Der dreieckige Deltamuskel liegt dem Schultergelenk auf, jedoch wird seine Halte- und Stabilisierungsfunktion für das Schultergelenk meist überschätzt. Leider wird deshalb zu häufig nur diese Muskelpartie trainiert und die essenziell wichtige Rotatorenmanschette außer Acht gelassen. Die Rotatorenmanschette setzt sich aus vier Muskeln (M. infraspinatus, M.
supraspinatus, M. subscapularis und M. teres minor) und einer Bandverbindung (Ligamentum coracohumerale) zusammen. Diese fasst das Schultergelenk von kranial, ventral und anteilig dorsal ein. Die Hauptaufgabe der Rotatorenmanschette besteht darin, das Schultergelenk zu stabilisieren und den Humerus multidirektional, d. h. in alle Richtungen, zu bewegen. Sie ist verletzungsanfällig, weswegen sie beim Training stärker beachtet werden sollte.
Wenn Übungen falsch ausgeführt werden
Beim Hypertrophietraining (um einen Muskelzuwachs zu generieren) mit Bankdrücken in Schräglage wird bei der Übungsausführung aus einer Innenrotation in eine Außenrotation gedrückt. Bei dieser Ausführungsart zwingt man die Schulter bei der Innenrotation in eine Engstellung im subacromialen Bereich (unterhalb der Schulterhöhe und des Schultereckgelenks), da der Humerus gegen das Schulterdach (Acromion) drückt und so den Schleimbeutel (Bursa) reizen kann. Zudem wird die Funktion des Musculus pectoralis major dabei nicht
berücksichtigt. Dieser geht beim Herablassen der Arme und Eindrehen der Un-
terarme in eine Innenrotation. Er wird also aus einer Innenrotation in eine Außenrotation gedrückt und wirkt so der Muskelfunktion entgegen. Dieses Prob -
lem kann vermieden werden, indem man die Rotationsachsen umkehrt und folg -
lich aus einer Außenrotation in eine Innenrotation drückt.
Diese Aspekte gelten auch für die Schulterpresse. Bei dieser sollte zudem darauf geachtet werden, dass die Arme in einem 45-Grad-Winkel zum Rumpf positioniert werden, um Engstellungen im Schultergelenk zu vermeiden. In der Startposition empfiehlt es sich, die Hände auf Höhe des Schultereckgelenks zu positionieren und nicht darunter, damit die Zugspannung auf das Ellbogengelenk und somit auf den Armapparat nicht unnötig groß wird. Grundsätzlich ist es wichtig, die Stabilisierung und auch die Fixierung des Humeruskopfes zu trainieren. Die meisten Trainierenden mit Schulterproblemen weisen eine disbalancierte Relation zwischen Innen- und Außenrotation der Rotatorenmanschette auf, was einen Trainingsfokus auf die Außenrotatoren erfordert. Als praktische Übung ist prinzipiell jede freie Bewegung der oberen Extremitäten, bei der keine stechenden Schmerzen auftreten, für die Versorgung der Gelenkkapsel mit Synovialflüssigkeit sinnvoll – besonders dann, wenn man kaum Bewegungen in den Alltag integriert. Selbst bei Spaziergängen sollte man darauf achten, dass auch die Schultern hin und wieder umfassend bewegt werden.
Übungen für ein sinnvolles Krafttraining der Schulter: Training der Außenrotatoren als Komplementärübung
Myofaszial bedingte Schulterschmerzen
Myofaszial bedingte Schulterschmerzen können aufgrund ihrer komplexen strukturellen Funktionsmechanismen nahezu die gesamte Bandbreite des Schmerzempfindens abdecken, sodass sie von Betroffenen als oberflächlich, diffus bis hin zu tief gelegen mit und ohne Bewegungseinflussnahme beschrieben wer-
den. Die im ersten Teil skizzierten muskulären Probleme können auch nach einer langen Trainingspause auftreten. Wenn der Trainingseinstieg zu abrupt war und die jahrelange Fehlhaltung bei z.B. viel sitzender Tätigkeit unberücksichtigt blieb, dann ist die Folge ein chronischer Entzündungsprozess. Bei einem spontanen, nicht professionell begleiteten Einstieg kann die „schiefe“ Schulter dann dazu führen, dass sich Schmerzen manifestieren. Bei diesen Beschwerden kann eine Mobilisation der Schulter die Probleme lösen. Die im Folgenden zusammengestellten Dehnübungen helfen, die Schulter zu mobilisieren. Hartnäckiger werden die Mobilitätseinschränkungen, wenn zusätzlich fibrotische Veränderungen in der Bindegewebsstruktur vorliegen. Fibrosierungen (umgangssprachlich in diesem Kontext: Verklebung des Bindegewebes) beginnen ursprünglich an der Trennwand (fasziales Septum) vom Fasziengewebe und können sich in benachbarte Regionen ausbreiten. Dieser tief liegende Bereich enthält sympathische Nervenfasern sowie Kapillaren und reagiert auf mechanische Kräfte in Form von Deformationen des Gewebes durch Kompression und Traktion. In der Kombination wird dies als Scherkraft bezeichnet. Dieses Nervenfasergeflecht reagiert in Stresssituationen mit erhöhter Sympathikusaktiviät und sorgt so für ein verhärtetes Bindegewebe; bei chronischer Stressmanifestation würde dies die Bildung von Triggerpunkten und damit verbunden ein erhöhtes Schmerzempfinden fördern. (4) Solche Triggerpunkte sollten bei Schulterproblemen unbedingt entsprechend
behandelt werden. (5)
Übungen zu Mobilisation der Schulter: Dehnung der Rotatoren mithilfe eines Stabs
"Nicht nur das Eine!" – Die Kombination macht's
Letztlich ist es die Kombination der Bereiche Krafttraining, Dehnung und Triggern, die, in ein praxisrelevantes Konzept gebracht, eine gesundheitsorientierte Trainingssteuerung im Rahmen des Trainings der Schultermuskulatur ausmacht. Krafttraining spielt eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung eines gesunden Bewegungsapparats, sodass dieses immer Einzug in den Trainingszyklus finden sollte. Während beim Krafttraining die Muskeln auch bei unsauberer Ausführung Querschnittsvergrößerungen verzeichnen, kann es simultan zum „Verschleiß“ benachbarter Gewebsstrukturen kommen, sodass einerseits auf eine saubere Ausführung zu achten ist und andererseits stets das Ziel der Übung bedacht werden sollte. Nicht jede Kraftübung, die gut für den Muskel ist, ist automatisch auch gut für andere Nachbarstrukturen. Eine gänzliche Schonung verletzter Strukturen ist in der Akutphase meistens sinnvoll, auf lange Sicht jedoch nicht.
Wichtig bei der Schulter: Sie ist an fast allen Kräftigungsübungen des Oberkörpers beteiligt – ein Aspekt, der bei der Periodisierung der Trainings bedacht werden muss. In den wenigsten Fällen reicht ein Krafttraining aus, um mobil und schmerzfrei zu bleiben – nicht, weil es nicht möglich wäre, sondern weil der Alltag zu nicht funktionalen Bewegungsmustern führt und z. B. durch Verletzungen, falsche Übungsausführungen oder Fehlhaltungen Beschwerden auftreten. Deshalb ist es sinnvoll, die Schultermuskulatur auch durch gezielte Dehntechniken zu mobilisieren und auf die myofasziale Strukturen einzuwirken.
Abschließende Tipps für ein nachhaltig effektives Schultertraining
Viel Erfolg beim korrekten Schultertraining!
Dr. Andreas Petko
Zum Autor:
Dr. Andreas Petko ist Sport- und Gesundheitswissenschaftler sowie Koordinator des Allgemeinen Hochschulsports der Universität Würzburg. Außerdem ist er TMX® MASTER. www.drandreaspetko.de
Literatur:
(1) Vgl. u. a. Manz, K./Domanska, O./Kuhnert, R., Krug, S. (2022). How much do adults sit? Results from the Ger- man Health Update (GEDA 2019/2020-EHIS). Journal of health monitoring. 7(3), S. 29–37. Baradaran Mahdavi S, Riahi R, Vahdatpour B, Kelishadi R. Association between sedentary behavior and low back pain; A systematic re- view and meta-analysis. Health Promot Perspect. 2021 Dec 19;11(4):393–410. Dzakpasu FQS, Carver A, Brakenrid- ge CJ, Cicuttini F, Urquhart DM, Owen N, Dunstan DW. Musculoskeletal pain and sedentary behaviour in occupa- tional and non-occupational settings: a systematic review with meta-analysis. Int J Behav Nutr Phys Act. 2021 Dec 13;18(1):159. Celis-Morales, Carlos, Salas-Bravo, Carlos, Yáñez, Aquiles, & Castillo, Marcelo. (2020). Physical inac- tivity and sedentary lifestyle – The other side of the side effects of the COVID-19 Pandemic. Revista médica de Chile, 148(6), 885–886.
(2) Vgl. Pozzi F, Plummer HA, Shanley E, Thigpen CA, Bauer C, Wilson ML, Michener LA. Preseason shoulder range of motion screening and in-season risk of shoulder and elbow injuries in over-head athletes: systematic review and me- ta-analysis. Br J Sports Med. 2020 Sep;54(17):1019–1027.
(3) Vgl. u. a. Jung, C., Tepohl, L., Grim, C. et al. Prävention von Schulterverletzungen bei Überkopfsportarten. Obere Extremität 17, 4–11 (2022) |Hawthorne, B.C., Garvin, P., Messina, J. et al. Acromioclavicular joint pathology in athle- tes. Obere Extremität 17, 12–20 (2022).
(4) Vgl. u. a. Lundberg, U./Dohns, I./Melin, B./Sandsjö, L./ Palmerud, G./Kadefors, R./Ekström, M., Parr, D. (1999). Psychophysiological stress responses, muscle tension, and neck and shoulder pain among supermarket cashiers. Jour- nal of Occupational Health Psychology. 4(3), S. 245–255. | Schleip, R, „Faszien und Nervensystem“ Osteopathische Medizin 4(1): 20–28 (2003).
(5) Vgl. Gordon CM, Andrasik F, Schleip R, Birbaumer N, Rea M. Myofascial triggerpoint release (MTR) for treating chronic shoulder pain: A novel approach. J Bodyw Mov Ther. 2016 Jul;20(3): 614–22.