"DON'T PANIC!" DAS VEGETATIVE NERVENSYSTEM BERUHIGEN – 3 METHODEN | TMX GASTBEITRAG

Wir alle kennen dieses flaue Gefühl, einen Moment der Panik. Vielleicht hast du aus Versehen deine:n Ex (oder deinen Chef) angerufen oder ein wichtiges Treffen verpasst. Oder vielleicht ist es auch etwas Ernsteres. Du fühlst dich als müsstest du auf die Bremse treten, um einen Unfall zu vermeiden. Dein Herz rast, pumpt dir bis zum Hals, und obwohl der Moment vorbei ist, dauert es Minuten – oder sogar Stunden – bis du dich wirklich beruhigt hast.

DIE EVOLUTION MACHT’S

Wenn das passiert, durchläuft dein Körper eine Kampf-und-Flucht-Reaktion, die eine Ausschüttung von Hormonen, Adrenalin eingeschlossen, verursacht. Diese Reaktion der Nervenzellen ist von enormer Bedeutung, denn eigentlich ist sie dafür da, um unser Überleben zu sichern: Dein Herzschlag erhöht sich, um deinen Körper mit mehr Sauerstoff zu versorgen, deine Augen weiten sich, damit du besser sehen kannst, und dein Gehör wird schärfer. Gleichzeitig werden weniger wichtige Körperfunktionen, wie beispielsweise die Verdauung, gedrosselt.

Diese Reaktion haben wir Menschen evolutionär entwickelt, um bei Gefahr eine größere Überlebenschance zu haben: Instinktiv bereitet sich der Körper darauf vor, entweder an Ort und Stelle zu bleiben (Erstarren), wegzulaufen (Flucht) oder sich dem Konflikt frontal zu stellen (Kampf).

Für die meisten von uns ist das moderne Leben sehr viel angenehmer als für unsere Vorfahren. Dennoch können bestimmte Erfahrungen diese Notfallreaktion auslösen, auch wenn wir nicht wirklich in Gefahr sind. Ob ständiges Online-Engagement oder Stress am Arbeitsplatz – unser Nervensystem arbeitet nahezu 24/7 und kann überfordert sein. Daher braucht es auch unbedingt Pausen, damit wir unser überreiztes Nervensystem beruhigen wieder können.

In diesem Artikel erfährst du, welchen Einfluss das vegetative Nervensystem auf unsere Gesundheit und unsere Psyche hat, und vor allem, wie du dein Nervensystem regulieren kannst.

Was ist das Nervensystem? Und was tun, wenn es aus dem Gleichgewicht gerät?

Zum besseren Verständnis: Dein Nervensystem ist so etwas wie die Kommandozentrale deines Körpers und steuert die meisten deiner täglichen Aktivitäten, wie zum Beispiel:

  • grundlegende Aktivitäten wie Atmen und Sehen
  • komplexe Prozesse wie Denken, Lesen und das Steuern von Emotionen
  • das Erkennen von Bedrohungen – ob real oder eingebildet – und das Auslösen einer Kampf-Flucht-Frost-Reaktion.

Wenn du ein Haustier hast, hast du vielleicht schon bemerkt, dass es sich nach einem aufregenden oder beängstigenden Erlebnis schüttelt. So schütteln Tiere buchstäblich ihren Stress ab.

Die Regulierung des Nervensystems ist ein wichtiger Bestandteil der somatischen Therapieeinem ganzheitlichen Ansatz der therapeutischen Heilarbeit, der darauf abzielt, eine Person durch geistige und körperliche Übungen zu heilen. Du kannst dein Nervensystem zwar nicht wirklich "zurücksetzen", aber du kannst Schritte unternehmen, um es mit Entspannungstechniken und anderen Übungen wieder ins Gleichgewicht zu bringen und so das Ungleichgewicht zu beseitigen.

Der Vagusnerv: Der Schlüssel Zur Inneren Balance

Der Vagusnerv spielt eine zentrale Rolle im vegetativen Nervensystem, insbesondere im parasympathischen Zweig, der für die Regulierung vieler unbewusster Körperfunktionen verantwortlich ist. Er erstreckt sich vom Hirnstamm bis zu verschiedenen Organen, einschließlich Herz, Lunge und Verdauungstrakt. Durch seine Aktivität trägt der Vagusnerv zur Entspannung und Regeneration des Körpers bei, indem er unter anderem die Herzfrequenz senkt, den Blutdruck reguliert und die Verdauung fördert. Diese Funktionen sind entscheidend für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts im Körper, insbesondere nach Stresssituationen, die durch den sympathischen Teil des vegetativen Nervensystems ausgelöst werden. Ein gut funktionierender Vagusnerv unterstützt somit die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden, indem er den Körper in einen Zustand der Erholung und Selbstregulation versetzt.

Woher weiß ich, ob mein Nervensystem eine Pause braucht?

Du musst nicht immer gleich mit einem Therapeuten zusammenarbeiten, um dein Nervensystem in Balance zu bringen, denn es gibt viele Übungen, Tipps und Techniken, die du selbst durchführen kannst, wenn dein Nervensystem überlastet ist. Aber zuerst musst du lernen, zu erkennen, wann dein Nervensystem aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Laut der Psychologin und Autorin Dr. Nicole LePera gibt es vier „Bedrohungen“ für das Nervensystem:

  1. Kämpfen: Wenn du dich wütend oder verängstigt fühlst.
  2. Flucht: Wenn du dich ängstlich fühlst und über Dinge grübelst.
  3. Erstarren: Wenn du dich abschottest oder dissozierst.
  4. Gähnen: Wenn du dich überfordert fühlst und dich in Abhängigkeitsverhältnisse begibst.

Jedes dieser Gefühle kann dein Nervensystem durcheinanderbringen. Aber mit den richtigen Übungen kannst du das Gleichgewicht wiederherstellen und deine Nerven beruhigen.

Vegetative Dystonie

Wenn unser Nervensystem für längere Zeit aus dem Gleichgewicht gerät, bekommen wir oft körperliche Symptome und es fällt uns immer schwerer, einen kühlen Kopf zu bewahren. Man spricht dann von einer vegetativen Dystonie. Diese kann sich folgendermaßen äußern:

  • innere Unruhe
  • schlechter Schlaf
  • hoher Blutdruck, Herzrasen
  • Stimmungsschwankungen und erhöhte Reizbarkeit
  • verstärktes Schwitzen

Wie du das Gleichgewicht deines Nervensystems wiederherstellst

Auch wenn du dein Nervensystem nicht direkt kontrollieren kannst, gibt es diverse Strategien, deren Einsatz dir helfen kann, dich zu beruhigen und in stressigen Situationen widerstandsfähiger zu machen.

1. Atme tief durch

Atemarbeit kann eine überraschend effektive und einfache Methode sein, um deine Nerven zu beruhigen. Außerdem kannst du dies überall anwenden, besonders mit einer Atemübungs-App. Wenn wir langsam und tief atmen, signalisieren wir unserem Parasympathikus, dass wir uns beruhigt haben. (Das Gegenteil bewirkt die schnelle, panische Atmung: Sie steuert den Sympathikus an, der „den Kampf“ oder „die Flucht“ steuert.)

Oft reicht es schon, wenn du dir im Alltag ein paar Minuten Zeit nimmst und langsam ein- und ausatmest. Du kannst aber noch einen Schritt weitergehen und Pranayama oder Yoga-Atmung praktizieren. Diese Art der Atemarbeit hat viele Formen und kann in Verbindung mit Yogastellungen durchgeführt werden. Eine Möglichkeit, dies auszuprobieren, besteht darin, sich in eine bequeme Sitzposition zu begeben und darauf zu achten, aus dem Bauch heraus zu atmen. Wenn du neu in der Atemarbeit bist, probiere die Ujjayi Pranayama („siegreicher Atem“).

Atme mit geschlossenem Mund durch die Nase ein und aus und ziehe dabei deine Kehle leicht zusammen. Du solltest ein leichtes Kitzeln im hinteren Teil deines Halses spüren. Das Atmen sollte sich fast wie die Wellen eines Ozeans anhören und dein Nervensystem beruhigen.

2. Kühle dich ab

Kälteeinwirkung kann deinen Vagusnerv, den Hauptnerv deines parasympathischen Nervensystems, beruhigen und helfen, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Eine Studie aus dem Jahr 2008 hat gezeigt, dass bei der Anpassung deines Körpers an kalte Temperaturen deine Kampf-Flucht-Frost-Reaktion abnimmt und dein Ruhe- und Verdauungssystem Überhand gewinnt. Um dies zu Hause zu üben, nimm eine kurze Dusche. Wenn dir das zu viel ist, kannst du dein Gesicht zuerst mit kaltem Wasser abspritzen oder es für ein paar Sekunden in ein Eisbad tauchen.

3. Schwitzen

Wenn Kälte nicht dein Ding ist, kannst du es stattdessen mit Wärme versuchen. Ein langes, heißes Bad hat etwas sehr Entspannendes – und das aus gutem Grund. Ein warmes Bad oder eine heiße Sauna können tatsächlich Entzündungen reduzieren. Eine Studie aus dem Jahr 2018 hat außerdem ergeben, dass Heizkissen die Ängste bei Patient:innen mit Stressharninkontinenz lindern.

Wenn du also das nächste Mal nach einem stressigen Ereignis Ausgleich und Entspannung brauchst, lass dir ein warmes Bad ein oder gönne dir eine lange, heiße Dusche. Wenn du nicht baden willst, nimm ein Heizkissen und lege es auf die Bereiche, die sich angespannt anfühlen, wie z.B. deine Schultern oder deinen Nacken.

4. Abschütteln

Ja, wir sagen dir, du sollst dich schütteln, schütteln und schütteln. Es hat sich herausgestellt, dass das Schütteln unseres Körpers – oder verschiedener Körperteile – helfen kann, Verspannungen und Traumata zu lösen. Wenn wir unseren Körper schütteln, beruhigen wir unser Nervensystem und bringen es in einen neutralen Zustand, indem wir Adrenalin verbrennen und Muskelverspannungen lösen. Es ist kein Wunder, dass "sich mal durchschütteln" eine alte kulturelle Redewendung ist, die wir uns gegenseitig sagen, wenn es schwierig wird. Vor einer öffentlichen Veranstaltung oder einem Vorstellungsgespräch kannst du deine Arme ausschütteln oder ein bisschen herumhüpfen, um deine Nerven zu entspannen. Oder mach während eines stressigen Arbeitstages eine kurze Tanzpause. Je mehr du mit den Armen fuchtelst, desto besser!

5. Gewichtsdecken

Es gibt noch nicht genug Forschung, um schlüssige Beweise für Gewichtsdecken zu finden, aber viele Menschen benutzen sie aufgrund der Idee der tiefen Druckstimulation. Die Decke wird als "riesige Umarmung" beschrieben und übt einen leichten, gleichmäßigen Druck auf den gesamten Körper aus, der ein Gefühl der Entspannung und Ruhe hervorrufen kann. Eine Studie hat sie sogar an Menschen getestet, die wegen einer psychischen Krise in ein Krankenhaus eingeliefert wurden, und festgestellt, dass mehr als die Hälfte derjenigen, die sie benutzten, über weniger Angstzustände berichteten. Entscheide dich für eine Decke, die etwa 10% deines Körpergewichts ausmacht. Normalerweise sind das zwischen 5 und 10 Kilo.

6. Kuscheln

Das Kuscheln mit deinen Liebsten, deiner Katze oder deinem Hund fördert nicht nur die Bindung, sondern setzt auch das Wohlfühlhormon Oxytocin frei. Laut einer Studie, die 2017 veröffentlicht wurde, genießen Hundebesitzer:innen nicht nur diesen Oxytocin-Schub, sondern profitieren auch von einem Rückgang des Cortisols, dem wichtigsten Stresshormon in unserem Körper. Wenn du ein Haustier hast und dich gestresst fühlst oder dieses Kampf-oder-Flucht-Gefühl bekommst, kuschel dich an es. So kannst du gezielt dein Nervensystem regulieren und wirkst direkt entspannter.

7. Abschalten

Wir alle wissen, dass eine reduzierte Bildschirmzeit deinem Schlafplan helfen kann. Aber eine Pause von der schnelllebigen und stressigen Arbeit am Bildschirm ist auch wichtig, um dein Nervensystem zu regulieren. Ständiges Online-Engagement kann zu Stress für den Körper führen und zu Depressionen und Angstzuständen beitragen.

Setze dein Handy am Sonntag auf "Nicht stören" und widme dich dann einem neuen Hobby oder Zeitvertreib. Du könntest diese Zeit nutzen, um die Natur zu genießen, indem du im Garten arbeitest oder spazieren gehst, meditierst oder ein Handwerk lernst. Du kannst diese Zeit auch nutzen, um dich persönlich mit einem Freund oder einem Familienmitglied zu treffen. Ein geselliges Beisammensein lenkt dich nicht nur vom Stress des ständigen Online-Engagements ab, sondern kann deinen Stresspegel sogar senken.

FAZIT

Deine Kampf-Flucht-Starre-Reaktion ist instinktiv dazu da, um dich zu schützen, wenn dein Körper Gefahr wittert. Während diese Reaktion für unsere Evolution als menschliche Spezies unerlässlich war, können die Gegebenheiten unserer modernen Gesellschaft oft dazu führen, dass unser Nervensystem auf Hochtouren läuft. Wenn du aber Maßnahmen zur Wiederherstellung deines Nervensystems ergreifst, kannst du dich während einer stressigen Woche oder nach einem intensiven Erlebnis wieder entspannen.

 

Zum Autor:

Andreas Humbert litt selbst jahrelang unter Angststörungen und Panikattacken. Auf seiner Website www.meinwegausderangst.de teilt er seine Erfahrungen und lässt auch andere Betroffene zu Wort kommen.